Das Internet verspricht Nähe, schafft aber oft tiefe emotionale Distanz – eine gefährliche Täuschung für Paare.
Wie viel Zeit verbringst du täglich online, während dein Partner im selben Raum sitzt?
In meiner Praxis als Paartherapeutin beobachte ich ein alarmierendes Phänomen:
Internetbeziehungen fördern Projektion, Oberflächlichkeit und Beziehungskonsum.
Wer online nach Nähe sucht, riskiert in Wahrheit Distanz:
Gerade im digitalen Zeitalter verwechseln viele schnell erfüllte Bedürfnisse mit echter Verbindung.
Der Artikel zeigt, warum diese Entwicklung nicht nur neue Beziehungen sabotiert, sondern auch langjährige Partnerschaften bedroht.
Warum digitale Kontakte süchtig machen, aber nicht erfüllen
Kennst du das Gefühl?
Du scrollst durch Instagram, siehst glückliche Paare und fühlst dich plötzlich unzufrieden mit deiner eigenen Beziehung.
Oder du chattest mit einer neuen Bekanntschaft und spürst einen aufregenden Nervenkitzel, den du in deiner Partnerschaft schon lange nicht mehr erlebt hast.
Die digitale Welt bietet ständig neue Kontakte und Bestätigung auf Knopfdruck.
In meiner langjährigen Arbeit mit Paaren sehe ich immer wieder: Was als harmloser Chat beginnt, kann schnell zur emotionalen Affäre werden.
Warum?
Weil Online-Begegnungen so gestaltet sind, dass sie schnelle Bedürfnisbefriedigung liefern.
Dating-Apps wie Tinder und Bumble sind besonders bei 30- bis 49-Jährigen beliebt. In dieser Altersgruppe haben bereits 66 Prozent mindestens einmal einen Online-Dating-Dienst genutzt.
Die trügerische Geschwindigkeit von Online-Beziehungen
Ein erschreckendes Phänomen, das ich in meiner Praxis immer häufiger beobachte:
Online-Beziehungen entwickeln sich oft mit atemberaubender Geschwindigkeit.
Du schreibst mit jemandem, fühlst dich verstanden und glaubst nach wenigen Tagen, diese Person besser zu kennen als deinen Partner nach Jahren.
Diese Schnelligkeit hat einen Grund. In digitalen Gesprächen fehlt alles, was eine tiefe emotionale Verbindung ausmacht:
- Mimik und Gestik sind nicht erkennbar
- Körpersprache bleibt verborgen
- Emotionale Reaktionen werden nur gefiltert wahrgenommen
Als Paartherapeutin warne ich:
Diese fehlenden Elemente führen zu einer gefährlichen Illusion von Nähe.
Im echten Leben würden wir durch nonverbale Signale schnell merken, ob jemand wirklich zu uns passt.
Online fehlen diese entscheidenden Feedback-Mechanismen.
Das Gefährlichste daran?
Laut einer Studie können Online-Dating-Erfahrungen zu einer Art emotionalen Burn-out führen.
Etwa 14 Prozent der Nutzer von Dating-Plattformen sind betroffen.
Diese emotionale Erschöpfung übertragen viele Menschen dann unbewusst in ihre bestehenden Beziehungen.
Beziehungen werden zu Konsumgütern
Eine Beziehung ist ebenso wie ein neuer Schlüppie nur wenige Klicks entfernt.
Warum fühlen wir uns oft so unzufrieden trotz aller Auswahl?
In meiner täglichen Arbeit mit Paaren stoße ich immer wieder auf das gleiche Problem:
Die Konsummentalität im digitalen Raum zerstört unsere Fähigkeit, tiefe Bindungen einzugehen.
Dating-Apps funktionieren wie Kataloge, in denen wir Menschen nach Aussehen und kurzem Profil bewerten.
Wir swipen, matchen und chatten – alles auf der Suche nach schneller Bedürfnisbefriedigung.
78 Prozent der Deutschen empfinden Online-Dating-Plattformen als oberflächlich.
Diese Zahl überrascht mich nicht.
Fast die Hälfte aller Nutzer (46 Prozent) erlebt beim Online-Dating Oberflächlichkeit oder rein sexuelles Interesse – bei Frauen sind es sogar 61 Prozent.
Die Warenhaus-Mentalität bei der Partnersuche
Besonders problematisch finde ich die Haltung, mit der viele Menschen heute an Beziehungen herangehen. Meine Klienten berichten immer wieder vom Gefühl, sie könnten jederzeit „upgraden“ – so wie man ein Smartphone gegen ein neueres Modell austauscht.
ALARMIERENDE FAKTEN ZUM ONLINE-DATING
- 78% der Deutschen empfinden Dating-Plattformen als oberflächlich
- 61% der Frauen erleben dort hauptsächlich Oberflächlichkeit
- 32% der Nutzer fühlen sich wie eine Ware behandelt
- 44% haben den Eindruck, Profile seien unehrlich oder geschönt
- 59% empfinden „Ghosting“ – das plötzliche Ausbleiben von Antworten – als verletzend
In meiner Therapiepraxis begegne ich täglich Menschen, die unter dieser Konsumhaltung leiden.
Sie suchen nach dem perfekten Partner, vergleichen und vergessen dabei, dass tiefe Liebe aus gemeinsamen Erlebnissen, Krisen und Wachstum entsteht; nicht aus der perfekten Startausstattung.
Der Narziss im digitalen Spiegel: Das Problem der Projektion
Das gefährlichste Phänomen bei Online-Beziehungen ist für mich die Projektion. Ich nenne es den Narziss-Effekt: Wir verlieben uns in unser Wunschbild, nicht in die reale Person.
Wer nur schriftlich oder telefonisch mit jemandem kommuniziert, füllt automatisch Lücken mit den eigenen Idealvorstellungen.
Du projizierst all deine Sehnsüchte auf ein nahezu leeres Gefäß. Wie Narziss verliebt sich der Mensch nicht in den anderen, sondern in sein eigenes Spiegelbild.
Diese Dynamik erklärt, warum viele meiner Klienten von intensiven Gefühlen für Menschen berichten, die sie kaum kennen. Das Problem: Die Realität kann mit dieser Fantasie niemals mithalten. Beim ersten Treffen kommt dann oft die Ernüchterung.
Normalerweise lernen Menschen sich kennen durch Gespräche und gemeinsame Aktivitäten. Findest du deine Partner online, ist das anders. Eine Gefahr im Internet für deine Beziehung ist, dass es oft viel zu schnell geht mit dem Zusammenkommen.
Die Absicht des anderen muss vorsichtig herausgefunden werden. Gestik, Mimik, Körperhaltung, Stimme und Geruch werden erkundet. Dies dauert einige Zeit (und die nimmt man sich bei Internet-Bekanntschaften selten!) und ist mit dem Risiko der Unsicherheit und auch mit möglicher Ablehnung verbunden. Findet man sich dauerhaft sympathisch, entwickelt sich mehr daraus. Eine Gefahr für die Beziehung stellt häufig nur die eigene Ungeduld dar.
Dies kann entweder eine sexuelle, leidenschaftliche Geschichte sein oder in Richtung Partnerschaft gehen. Dennoch ist da immer der Reiz des Ungewissen. Man investiert Zeit und Mühe. Dies macht eine Beziehung kostbar.
Man trennt oder betrügt sich nicht so schnell, wenn es einiger Mühen bedurfte, den Partner gefunden und gebunden zu haben. Es besteht keine große Gefahr für die Beziehung, die sich langsam entwickelt.
Durch die Präsenz des Internets und die Möglichkeit, allerorten zu surfen, besteht auch allerorten und jederzeit die Möglichkeit, potenziell interessierte Partner zeitnah zu finden. Leider auch, um seinen Partner zu betrügen.
Wenn dir das passiert ist, du betrogen wurdest, dann hole dir am besten kostenlos den Fahrplan Fremdgehen überwinden.
Dort zeige ich dir, was du machen kannst.
Gefahr im Internet: Partner, ohne mich anzustrengen
Suche ich einen Kerl zum Blumen pflücken oder auch zum Sex, kann ich in Tinder wie in einem Katalog attraktive Kerle auswählen und sie entweder wegwischen oder ihnen zeigen, dass ich willig bin. Findet er mein Bildchen nett, brauchen wir eigentlich nicht mehr zu reden.
Etwas länger dauert es, aus den Katalogen von Parship, Elitepartner etc. einen Partnerersatz klarzumachen. Auch hier muss ich jedoch nicht die ganze Arbeit alleine machen. Moderne Filter helfen mir, die Übergewichtigen und Kahlköpfe auszusortieren. Sogar die gesellschaftliche Stellung ist häufig ersichtlich.
Jetzt muss ich nur noch ein wenig nett schreiben. Dann bauen einander innere Wünsche zu Projektionen auf und man beginnt zu telefonieren. Meist ist es hier jedoch schon oft zu spät. Nicht mehr der Bauch oder das Herz werden berührt. Einzig die interne Projektion der eigenen Wünsche in die Person des anderen sind im Vordergrund. Wer der andere wirklich ist, rückt bestenfalls in den Hintergrund. Schlimmstenfalls interessiert es nicht, weil gar kein Bewusstsein dafür da ist, dass man sich in die eigene Projektion gleich Narziss in sein Spiegelbild verliebt hat.
Konsumierte Beziehungen
Das Echte, Kostbare des anderen und auch des eigenen Selbst sind weniger gefragt als die Befriedigung eigener Bedürfnisse nach Sex, Nicht-Allein-sein, nicht auf die Jagd gehen und keine Abfuhr riskieren zu müssen.
Fast Food, könnte man meinen.
Mit Sicherheit gibt es auch Menschen, die die Möglichkeiten des Internets weise nutzen und nicht derart konsumieren.
Dennoch scheint es ein zunehmendes Phänomen zu sein.
Der schnelle Erfolg macht mehr Spaß als der Langfristige. Leider ist es so, dass Dinge, die man beim ersten Mal falsch gemacht hat, beim zweiten Mal viel leichter falsch zu machen sind.
Das führt zu einem veränderten Bewusstsein für den Wert des Menschen, mit dem wir gerade in einer Partnerschaft sind. Wir lernen, wie schnell Ersatz oder eine Ausweichmöglichkeit beschafft werden kann. Das könnte zur Folge haben, dass gute Kommunikation mehr und mehr zur Ausnahme in Beziehungen wird, es primär um das Einfordern der ursprünglichen Projektion gehen könnte.
Wird diese Projektion nicht bedient, heißt es:
„Du machst mich unglücklich, so wie Du jetzt bist. Wärst Du nur der oder die Alte“.
Statt echter Entwicklung, Spiegelung und Arbeit an der Beziehung ist Frust statt Lust vorprogrammiert.
Obwohl man doch genau das vermeiden wollte!
Auf zur nächsten Runde…
Wenn du die Sorge hast, dass dein Mann oder deine Frau fremdgeht, solltest du es ansprechen. Das ist besser als zu zweifeln, Freude zu fragen und mit dem Verdacht zu leben. Ob du allerdings schon beim ersten Versuch eine ehrliche (und mutige) Antwort bekommst, ist ungewiss.
Ich werde immer wieder gefragt, ob es nach dem Fremdgehen so etwas wie typisches Verhalten gibt. Kurz und bündig: ja. Aber nicht wie in einem Rezeptbuch, sondern es sind hauptsächlich Verhaltensänderungen, die dich stutzig machen.